Persönlichkeiten von schwulem Interesse
Christian Andersen
Helmut
Das hässliche Entlein, Des Kaisers neue Kleider, Der Schweinehirt, Die
Prinzessin auf der Erbse. Diese und weitere Märchen von Hans Christian
Andersen sind aus den Kinderzimmern dieser Welt nicht mehr weg zu denken. Hans
Christian Andersen machten seine Märchen zu einem weltbekannten
Schriftsteller. Durchaus ein zweischneidiges Schwert für Andersen. Denn
durch den Ruf, lediglich "Kindergeschichten" geschrieben zu haben,
bleibt ihm lange Zeit die literarische und literaturwissenschaftliche
Anerkennung versagt. Dabei schrieb er nicht nur Märchen. Nennenswert sind
auch der Roman "Der Improvisator" von 1835 sowie seine feinsinnige
Lebensgeschichte "Das Märchen meines Lebens".
Erfolg kann man aber auch mit Märchen haben. Der in ärmlichen
Verhältnissen aufgewachsene Sohn eines Schuhmachers und einer Trinkerin
wird dank seiner insgesamt 156 Märchen vom Hochadel hofiert und in den
Herrscherhäusern Europas mit offenen Armen empfangen. Er reist viel und
gerne. Schriftstellerkollegen wie Victor Hugo, Heinrich Heine, Hendrik Ibsen,
Honore de Balzac und Charles Dickens achten ihn und pflegen Kontakt mit ihm.
Während er im Ausland gefeiert wird, bleibt er zu Hause in Kopenhagen der
zwar eitle, aber leider auch hässliche Schwan: mit übergroßer
Nase, Schweinsäugelein, viel zu langen, schlaksigen Armen. Die Menschen
drehen sich nach ihm um und nennen ihn Orang-Utan.
Der am 2.4.1804 in Odense geborene Andersen wächst in ärmlichen
Verhältnissen auf. 1816 stirbt sein Vater, und er arbeitet als Kind in
einer Tuchfabrik. Seine Halbschwester arbeitet zeitweise als Prostituierte. Mit
14 Jahren geht er nach Kopenhagen. Dort findet er einen italienischen
Opernsänger als Gönner. Er nimmt Gesangs- und Schauspielunterricht am
Königlichen Theater. Der dortige Direktor Jonas Collins wird sein
lebenslanger Freund und Unterstützer. 1822 schickt er ihn auf die Schule.
Später ermöglichte er ihm ein Studium an der Universität von
Kopenhagen. Mit nur 17 hat Andersen seine ersten literarische
Veröffentlichungen. 1835 erscheint die erste Auswahl seiner
"Märchen, erzählt für Kinder".
Bereits in diesen Märchen verarbeitet Andersen sein
Leben. Verklausuliert unter den Fabelwesen und Phantasiegestallten versteckt
Andersen die Gründe seiner Melancholie und Hypochondrie. Sie offen
auszusprechen, wagt er nicht, wird er nie wagen. Auch in seiner Autobiographie
"Märchen meines Lebens" von 1846 verhüllt er sein wahres -
homosexuelles - Begehren, soweit es möglich ist. In seinen Märchen
riskiert er, sein Seelenleben weitaus deutlicher zu formulieren, kann er sich
doch hier hinter den Masken dieser Fabelgestalten verbergen.
Er ist ein anders als die Anderen von Kindheit an. Die Straßenjungen
aus seiner Kindheit sprechen von seinem "eigentümlichen Wesen",
wegen seiner "weichen Art" und "weichen Natur" wird er oft
für ein Mädchen gehalten. Einmal sollen ihm die Kollegen in der
Fabrik, in der er nach dem Tod seines Vaters arbeitete, die Hosen
heruntergezogen haben, weil sie vermuteten, er wäre in Wirklichkeit ein
Mädchen.
Andersens große Liebe gilt - neben dem dänischen
Ballett-Tänzer Harald Scharff - dem Sohn des Theaterdirektors: Edvard
Collins. Mit ihm verbindet Andersen eine enge Freundschaft. Sie wächst
jedoch nie über ein platonisches Verhältnis hinaus. Als Collins sich
verlobt, schreibt Andersen verzweifelt "Wie Moses stehe ich am Berge und
blicke ins gelobte Land, wohin ich nie gelangen werde." Schließlich
heiratet Edvard Collins. Und Andersen flieht vor der Hochzeit in das, was er am
besten kann: er schreibt ein Märchen. Es ist Die kleine Meerjungfrau. Auch
Ihre Liebe bleibt aufgrund ihres Andersseins unerfüllt.
Andersen pflegt zwar verschiedene Frauenfreundschaften, doch sind sie rein
platonischer Natur. Wahrscheinlich ist sogar, dass Andersen auch mit
Männern zeitlebens niemals sexuelle Erfahrungen machte.
Er stirbt am 4.8.1875 in Kopenhagen. Seine große Liebe, Edvard
Collins, und dessen Frau werden später übrigens in Andersens Grab
beerdigt. Später werden die beiden aber in das Familiengrab der Collins
umgebettet.
Seine Homosexualität verschleiert Andersen bis zum Schluss. Die
Hoffnung, sich bis über den Tod hinaus in seinen Märchen verbergen zu
können, erfüllt sich jedoch nicht. Recht bald wird in Aufsätzen
über ihn die "weibliche" und "weiche" Natur
hervorgehoben, und 1901 reiht in Albert Hansen mit seinem expliziten Aufsatz
"H.C. Andersen. Beweis seiner Homosexualität" im Jahrbuch
für sexuelle Zwischenstufen in die Reihe berühmter Homosexueller
ein.