Nordamerika
Helmut
Als ich mir den Sendeplan für dieses Jahr, ja, so etwas gibt es,
angeschaut habe, so gab es einige Sendungen, bei denen ich sofort eine
ungefähre Vorstellung davon hatte, was in der Sendung kommen wird. Nicht
so bei der Heutigen. Da steht nämlich einfach "Nordamerika". Und
das kann ja nun sehr viel sein. Zu dem Thema habe ich ja auch schon einige
Beiträge gemacht. Es ist ja schon fast ein Deja vu. Die USA waren auch das
Thema meiner ersten Sendung im letzten Jahr 2001. Und ich habe auch sonst schon
genug über die schwulen Zentren wie San Franzisko, Key West oder
Provincetown geredet. Und in den Nachrichten bringe ich auch immer wieder viele
Nachrichten aus Amerika unter.
Gut, ich habe mir also überlegt: was habe ich schon zu oft
erzählt, und was fehlt vielleicht noch? Auch wenn diese Sendung den
Auftakt unserer diesjährigen monatlichen Themenreihe darstellt, wegen
dieser &Uuuml;berlegungen ist der Inhalt der Sendung vielleicht eher untypisch
für die Reihe. Ich möchte nicht schon wieder die schwulen Hochburgen
vorstellen. Nicht schon wieder über San Franzisko, Miami Beach oder
Provincetown reden. Ich will auch nicht über die Geschichte der
Schwulenbewegung in den USA oder Kanada reden. Vielleicht ein anderes mal, aber
wir werden uns dieses Jahr wieder mit einigen Sendungen in der Vergangenheit
tummeln. Nein, man könnte sagen, ich habe mir die Gegenwart der Schwulen
und der Schwulenbewegung in den USA ausgesucht.
Wenn ich Nachrichten über die USA habe, so kommen mir diese häufig
etwas merkwürdig vor. Manches kann vielleicht nur ein Insider
verstehen. Etwa was es bedeutet, wenn in Kalifornien Schwule als Geschworene
zugelassen werden, und warum sie das nicht schon immer waren. Anderes versteht
man sofort und überall, etwa die Ermordung von Matthew Shepard. Doch
vieles erscheint merkwürdig, wäre aber verständlich, wenn man
bloß ein bisschen Hintergrundwissen hätte. Das kriegt man
natürlich nicht so einfach. Ich habe mir ein paar Schlagworte rausgesucht,
die immer mal wieder auftauchen, und untersucht, was eigentlich genau dahinter
steht.
Manches versteht man am einfachsten, wenn man es mit etwas vergleicht, dass
man kennt. Ich - und vermutlich auch die meisten unserer Hörer - sind nun
mal im westeuropäischen Kulturkreis aufgewachsen und leben auch hier. Wenn
man das schwule Leben in den Ländern der EU betrachtet, so sieht man, bei
allen Unterschieden, doch ganz große Gemeinsamkeiten.
In der EU, und auch in den umliegenden Ländern wie Tschechien, Ungarn
oder Polen, hat sich die Schwulenbewegung in den letzten Jahren
überwiegend um ganz wenige, zentrale Punkte gedreht. Da wäre an aller
erster Stelle die Homo Ehe, die mittlerweile schon fast zur Standardausstattung
europäische Gesellschaften gehört. Vereinzelt müssen erst noch
die letzten Gesetze gegen Homosexualität und Homosexuelle abgeschafft
werden. Die Schutzalter werden angeglichen und auch in osteuropäischen
Länder wird Homosexualität entkriminalisiert. Und als neues
Lieblingsthema der Schwulenbewegung in Deutschland und in unseren
Nachbarländern kristallisiert sich in letzter Zeit das Thema
Antidiskriminierungsgesetze heraus.
In den USA stehen andere Themen auf der Tagesordnung. Teilweise
ähnliche Themen, nur mit anderem Namen, teilweise auch ganz andere. Die
HomoEhe ist in den USA praktisch tot, seitdem sie in Hawaii mit allen
juristischen und legislativen Tricks verhindert wurde. Vor einigen Jahren hat
ja der oberste Gerichtshof Hawaiis die Beschränkung der Ehe auf
Heterosexuelle für verfassungswidrig erklärt. Die Frist zur Umsetzung
des Urteils war knapp bemessen. Die Regierung von Hawaii hat es gerade noch
rechtzeitig geschafft, die Verfassung zu ändern. So knapp, daß die
anderen Bundesstaaten befürchtete, es würde bald die ersten HomoEhen
in Hawaii geben. Daher wurde ein Bundesgesetz unter dem lustigen Namen
"Defense of marriage act" erlassen, nachdem die Staaten selbst
entscheiden dürfen, ob sie eine HomoEhe aus einem anderen Staat anerkennen
wollen oder nicht. Seitdem gibt es Gesetze, die eine bundesweite
Einführung der HomoEhe unmöglich machen. Und dass die HomoEhe
für jeden Staat einzeln durchgesetzt wird, ist einfach unrealistisch. Auch
die eingetragene Partnerschaft in Vermont ist primär das Geschenk des
obersten Gerichts von Vermont.
Während in Europa die Schwulenparagraphen langsam aber sicher
aussterben, stehen in den USA die Sodomiegesetze fest wie ein Felsen in der
Brandung. Sodomiegesetze haben in den USA schon richtig Tradition. In
zahlreichen Bundesstaaten sind damit verschieden Sexpraktiken
verboten. Teilweise nur für Homosexuelle, teilweise auch für
Heteros. Mal werden die Gesetze hart durchgesetzt, mal werden sie weitestgehend
ignoriert. Es gibt immer wieder Volksbefragungen, ob diese Gesetze abgeschafft
werden sollen, oft mit viel Getöse und Polemik, meist ohne
Erfolg. Weitestgehend hat man sich aber damit anscheinend arrangiert.
Ein heißes Thema in den letzten Jahre waren hingegen Schwule in der
Armee. Das Verbot von Schwulen in der Armee wollte Bill Clinton eigentlich
ganz zu Beginn seiner Amtszeit aufheben. Er ist das Thema über seine ganze
Amtszeit hinweg nicht los geworden. Und eine Lösung ist ferner denn
je.
Quasi als Ersatz sowohl für die HomoEhe als auch für ein
Antidiskriminierungsgesetz gibt es in den USA ein ganze Flut von kommunalen
Regelungen für die sogenannte domestic partnership. Vor allem aber
zahlreiche Unternehmen unterstützen ihre Mitarbeiter, Homosexuelle wie
Heterosexuelle, in solchen domestic partnerships.
Bei der Akzeptanz Homosexueller in den USA gibt es eine enorme
Bandbreite. Am einen Ende stehen die äußerst
schwulenfreundlichen Kommunen wie natürlich San Franzisko, Miami
oder New York. Das andere Ende stellen dann schwulenfeindliche Gruppen
wie die christian coalition oder der Prediger Fred Phelps
dar. Letzterer tut sich beispielsweise dadurch hervor, daß er
bei Beerdigungen von Schwulen mit Plakaten wie AIDS HEALS FAGS
auftritt. In Deutschland wäre das wohl unvorstellbar.
Natürlich kam das alles schon mal kurz in den Nachrichten oder
wurde in der einen oder anderen Themensendung kurz angesprochen. In
den Nachrichten können aber immer nur die Stichworte fallen,
ausführliche Hintergrundinformationen passen einfach nicht in den
vorgegebenen Zeitrahmen. Heute will ich auf ein paar Punkte endlich
einmal näher eingehen. In den nächsten Beiträgen werde
ich daher versuchen, diese domestic partnership zu erklären,
über die "Don't ask, don't tell" Doktrine der US Army
reden sowie Fred Phelps und das Ex-Gay Movement vorstellen.
Wenn ich mich nicht gewaltig verschätzt habe, dann wird danach unsere
Stunde Sendezeit bereits wieder vorbei sein. Es gäbe sicher noch eine
ganze Reihe von Punkten anzusprechen. Mich würde zum Beispiel auch
interessieren, wie sich die Situation von Schwulen und Lesben zwischen Stadt
und Land, Nord und Süd unterscheidet. Oder wie offen geht man in den USA
mit Homosexualität am Arbeitsplatz oder auch bei Politikern und sonstigen
Prominenten um. Aber dafür wird die Zeit genauso wenig reichen wie
für einen Blick über die Grenzen der USA hinaus nach Kanada, Mexiko
oder in die Karibikstaaten.
Aber selbstverständlich nehmen wir uns immer die Zeit für ein
bisschen Musik.
Vielleicht ist es typisch für die USA, und typisch für
Europa. Europa, das im Vergleich zu den USA immer als regelwütig und
Gesetzbesessen gesehen wird, regelt die gleichgeschlechtlichen
Lebensgemeinschaften mit Gesetzen zur eingetragenen Partnerschaft. In den USA,
in denen jede Einflussnahme des Staats argwöhnisch beäugt wird,
schreitet man derweilen mit einer privatrechtlichen, dezentralen Lösung
voran.
Unternehmen bieten ihren verheirateten Mitarbeitern allerlei
Vergünstigungen an. Beispiele sind etwa Mietzuschüsse für
doppelte Haushaltsführung, Sonderurlaub bei schwerer Erkrankung des
Partners oder Rücksichtsnahme auf die Partnerschaft bei betriebsbedingten
Versetzungen und Kündigungen. In den USA kommt da noch als wichtiger Punkt
die Krankenversicherung dazu, die dort häufig vom Arbeitgeber organisiert
wird.
Zahlreiche Unternehmen in den USA bieten mittlerweile ähnliche oder
gleiche Vergünstigungen auch für nichteheliche Lebensgemeinschaften
an. Das nennt sich dann domestic partnership. Die neuesten Zahlen, die ich
finden konnte, stammen von letztem Jahr und lagen bei 3572
Unternehmen. Allerdings liegen die jährlichen Zuwachsraten
regelmäßig zwischen 20 und 30 Prozent, so dass die Zahl mittlerweile
eher bei 4000 liegen dürfte. Rund ein drittel bietet diese Leistungen nur
für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften an, bei der Mehrheit
können die Leistungen aber sowohl von hetero- wie als auch von
homosexuellen Lebensgemeinschaften in Anspruch genommen werden können.
Es dürfte kaum überraschen, daß domestic
partnership benefits überwiegend von den größeren
Unternehmen angeboten werden, darunter Namen wie Coca Cola, GM, Ford
und Chrysler. Von den 50 größten Unternehmen würden
demnach über 80% Vergünstigungen für domestic
partnerships anbieten. Außerdem gibt es eine ganze Reihe von
Kommunen, Universitäten und anderen staatlichen Einrichtungen,
die domestic partnership benefits anbieten.
Der Erfolgszug der domestic partnership begann vielleicht 1997 mit der Equal
Benefits Ordinance in San Franzisko. Damals beschloss die Stadt San Franzisko,
Verträge nur mit solche Unternehmen zu schließen, die den
unverheirateten Lebensgemeinschaften unter ihren Angestellten die gleichen
Leistungen zukommen lassen, wie ihren verheirateten. Das erstreckt sich vom
einfachen Dachdecker, der das Dach der Grundschule ausbessert, bis hin zu
weltweiten Luftfracht und Luftverkehrsunternehmen, die vom Flughafen von San
Franzisko aus operieren. Die Verordnung hat zu einigem Aufruhr geführt.
Insbesondere mussten die Gerichte klären, ob San Franzisko überhaupt
so eine Verordnung erlassen durfte. San Franzisko durfte, und die Unternehmen
begannen, die Vergünstigungen für Ehepaare auch unverheirateten
Paaren zu gewähren.
Mittlerweile haben die Unternehmen erkannt, daß domestic partnership
benefits auch aus unternehmerischer Sicht Sinn machen können. Gleich nach
der Verabschiedung der Equal Benefits Ordinance gab es in den USA eine ganze
Reihe von Protesten und Boykottaufrufen gegen Unternehmen, die sich gegen die
domestic partnership stellten. Dahingegen gab es kaum Proteste gegen
Unternehmen, die domestic partnership anbieten. Ganz im Gegenteil, gerade bei
große Unternehmen bekamen immer wieder sehr positive Medienberichte, wenn
sie bekannt gaben, daß sie nun auch Vergünstigungen für
unverheiratete Ehepartner anbieten.
Und dann hat man auch noch festgestellt, daß diese gute Presse fast
nichts kostet. Typischerweise nehmen nur sehr wenige Angestellte die
Vergünstigungen auch in Anspruch. Es wird geschätzt, daß rund
2% der Angestellten die Vergünstigungen der domestic partnership
nutzen. Da gibt es ja auch gleich mehrere Gründe:
Schwulen und Lesben stehen zunächst mal vor der Frage, ob sie sich
wirklich auf diesem Weg an ihrem Arbeitsplatz outen wollen.
Dann muss man auch erst einmal nachweisen, daß man wirklich in einer
eheähnlichen Beziehung lebt. Trauschein gibt es ja nun mal keinen. Also
kann man mit Mietvertrag, Rechnungen und was einem sonst noch so einfällt
in der Personalabteilung auftauchen und versuchen, damit glaubhaft zu machen,
dass das nun so was wie eine Ehe ist.
Der beste Grund, das Angebot des Arbeitgebers auszuschlagen, sind aber die
Kosten. Die Vergünstigungen gelten nämlich als geldwerter
Vorteil. Und sind entsprechend zu versteuern. Wenn man jetzt mal überlegt,
daß der wichtigste Vorteil die Krankenversicherung für den Partner
ist, und so was ist ja nicht gerade billig, so wird klar, daß es
dafür auch entsprechend viel zu versteuern gibt. Die gleichen
Vergünstigungen für den Ehepartner wären übrigens meistens
steuerfrei.
Der Unterschied zwischen domestic partnership und einer
eingetragene Partnerschaft europäischer Prägung ist
fließend. Auch in Frankreich gibt es, unterhalb der Ehe und des
Pacs, eine rechtlich anerkannte Form der eheähnlichen
Gemeinschaft ohne formale Registrierung oder Eheschließung etc.
Und auch die immer wieder angeführte Homo Ehe in Vermont ist
letztlich eine Form der domestic partnership, die aber eben nicht vom
Arbeitgeber, sondern vom Staat anerkannt wird. In Kalifornien kann man
übrigens auch eine domestic partnership beim Staat anmelden, dann
erhält man etwa Besuchsrechte im Krankenhaus. Wer sich noch
erinnert - auch in Deutschland gab es als erstes eine eingetragene
Lebenspartnerschaft light, in Hamburg. Die hatte fast keine
rechtlichen Folgen, war aber einfach zu schließen und wieder
aufzulösen. Wie die domestic partnership in den USA. Und in den
USA gibt es Anläufe des Gesetzgebers, die domestic partnerships
auch vom Staat aus mit Rechten auszustatten, etwa dem Aufenthaltsrecht
für ausländische Partner.
Die beiden Varianten nähern sich also an. Es gibt aber einen
grundlegenden Unterschied. Die eingetragene Partnerschaften in Europa werden
vom Staat geregelt und beim Staat beschlossen. Der Staat gibt dabei auch eine
Reihe von Rechten und Pflichten vor. Dadurch können alle, die es wollen,
so ihre Partnerschaft registrieren lassen und haben dann zumindest diese vom
Gesetzgeber vorgegebenen Rechte und Pflichten. Wenn der Arbeitgeber, der
Vermieter oder irgendein Unternehmen weitere Vergünstigungen anbieten
will, dann kann das noch als Extra dazu kommen. Aber zunächst einmal gibt
es den im Gesetz niedergelegten Mindeststandard für alle.
In den USA kommen manche in den Genuss recht weitreichender
Vergünstigungen. Da alles aber dezentral und auf freiwilliger Basis
geschieht, bekommen viele gar keine domestic partnership benefits. Und es gibt
eben auch eine Reihe von Regelungen, wie das Aufenthaltsrecht
ausländischer Partner, das Zeugnisverweigerungsrecht oder das
Adoptionsrecht, die nur durch den Gesetzgeber geregelt werden können.
Schwule in der Armee. In einigen Ländern
selbstverständlich. Einige Armeen habe sogar gezielt in schwulen Medien
oder mit schwulen Motiven Soldaten geworben. In Amerika denkt so mancher
General anscheinend immer noch an den Untergang des Abendlands, wenn von
schwulen Soldaten geredet wird. Nicht das es keine Schwulen in der US Army
gäbe. Allein in Mannheim und Heidelberg habe ich schon einige davon
getroffen. Aber doch bitte schön nicht offiziell.
Vor seiner Wahl hat Clinton versprochen, sich des Problems anzunehmen.
Ursprünglich wollte er einfach das Verbot Schwuler in der Armee aufheben.
Hört sich ja einfach genug an. Eine entsprechende Initiative hat Clinten
denn auch kurz nach seiner Wahl auf den Weg gebracht. Das löste aber
massiven Widerstand aus der Armee und der Politik aus. Ob es an Clintons
politischer Unerfahrenheit lag, ob Clinton für die Initiative nicht
wirklich kämpfen wollte, oder ob dieser Widerstand wirklich zu groß
war, auf jeden Fall wurde daraus dann das halbherzige und scheinheilige "Don't
ask, don't tell". Demnach dürfen Schwule offiziell in der Armee dienen, so
lange niemand etwas von ihrem Schwulsein erfuhr. Man kann sich durchaus fragen,
wo da denn der Unterschied zu früher war. Schwule waren schon immer in der
Armee, es durfte halt nur niemand wissen. Und sobald es bekannt war, flogen sie
aus der Armee. Genau wie bei "Don't ask, don't tell".
Zugegebenermaßen, die Regelung war besser gedacht.
"Don't ask": Damit sollte den Vorgesetzten eigentlich verboten
werden, nachzuforschen, ob ein Soldat schwul ist. Häufig wurde aber gerade
die "Don't ask, don't tell" Direktive als Vorwand für solche
Untersuchungen herangezogen. Dann wurde eben nicht untersucht, ob der Soldat
Homosexuell ist. Sondern es wurde untersucht, ob ein Verstoß gegen
"Don't ask, Don't tell" vorlag.
"Don't tell": Es ist nicht ganz klar, wann die Grenzen des Don't
tell überschritten werden. Es sollte aber eigentlich ein ganz normales
Leben möglich sein. Sicher sollte man nicht gerade als Schwules Paar bei
der Sendung Traumhochzeit auftreten. Und vielleicht auch nicht gerade auf dem
ersten Wagen beim CSD mitfahren. Aber abends in die schwule Szene gehen, eine
Beziehung mit einem Mann und so weiter sollten OK sein. Sollten.
Tatsächlich wurde "Don't tell" vielerorts so interpretiert,
daß die Homosexualität absolut geheim sein musste und bereits
Gerüchte als Verstoß gegen "Don't tell"M gewertet
wurden.
"Don't ask, don't tell" hat das Leben für Schwule in
der Armee zunächst einmal nicht vereinfacht. Paradoxerweise
wurden nach der Einführung der Regelung, die es Schwulen und
Lesben erlauben sollte, in der Armee zu dienen, mehr Soldaten wegen
ihrer Homosexualität aus der Armee entlassen als vorher. Gut, es
wurde vermutet, daß einige Heteros vorgaben Schwul zu sein, um
aus dem ungeliebten Militärdienst vorzeitig entlassen zu
werden. Aber die Zahlen stiegen so stark an, daß das nicht
allein als Erklärung reicht.
Wenn vorher einem Vorgesetzten Gerüchte über die
Homosexualität eines Soldaten zu Ohren kamen, so forschte er nach, ob an
den Gerüchten etwas dran war, um ihn dann wegen seines Schwulseins zu
entlassen. Mit "Don't ask, don't tell" lief das dann so, daß
der Soldat ja irgendwie seine Homosexualität offen demonstriert haben
musste, sonst hätten seine Vorgesetzten ja nichts davon erfahren
können. Und wenn man dann nachweisen kann, daß er wirklich schwul
ist, dann wird er eben wegen eines Verstoßes gegen "Don't ask, don't
tell" entlassen.
Tatsächlich muss es an einigen Standorten zu regelrechten
Hexenjagden auf einzelne Schwule gekommen sein. Das ganze erreichte
einen traurigen Höhepunkt, als ein Soldat die Diskriminierung
nicht mehr aushielt und sich selbst tötete. Daraufhin wurde eine
Untersuchung des Selbstmords sowie eine Überprüfung der
"Don't ask, don't tell" Praxis angekündigt. Zunächst einmal
wurde der Slogan zur Klarstellung etwas erweitert. Es hieß dann
"Don't ask, don't tell, don't harrass".
Letztes Jahr hat sich das Pentagon dann endlich zu einer Klarstellung der
Regelung durchgerungen. In Broschüren und Schulungen wurden Vorgesetzte
über die Bedeutung von "Don't ask, don't tell"
aufgeklärt. Demnach sollte die sexuelle Orientierung eines Soldaten nie
als Grund für Nachforschungen dienen. Und die erlaubten Verhaltensweisen
gehen auch recht weit. Besuch in einer schwulen Bar: OK. Zusammenleben mit
einem Mann: OK. Man darf seinem Freund sogar in aller Öffentlichkeit mal
an die Eier langen. Und das ist ja nun schon sehr eindeutig.
Gut gemeint oder nicht - das interessiert schon fast nicht mehr. "Don't
ask, don't tell" ist ein Fehlschlag. Die Zahl der Entlassungen wegen
Homosexualität hat sich seit der Einführung der Doktrin 1993 stark
erhöht. Auch die Akzeptanz der Homosexuellen in der Armee hat sich nicht
gebessert. Allein in dem einen Jahr von 1998 bis 1999 hat sich die Zahl der
homofeindlichen Übergriffe in der Armee fast verdoppelt.
Erst im letzten Jahr hat sich die Situation wieder etwas gebessert. Zum
erstenmal seit der Einführung der Regelung ist die Zahl der wegen
Verstöße gegen "Don't ask, don't tell" aus der Armee
entlassenen Soldaten zurückgegangen. Vielleicht ein Anzeichen, daß
die Regelung, nun nach der Klarstellung durch das Pentagon und den neuen
Schulungen doch funktionieren könnte.
Das kommt wohl zu spät.
Die Doktrin wurde letztlich von allen Seiten kritisiert. Auch schwule
Gruppen plädieren mittlerweile für die Abschaffung der
Doktrin. Während des Senatswahlkampfs 2000 hat schließlich auch
Hillary Clinton offen von einem Fehlschlag gesprochen. Bill Clinton
äußerte sich weniger konkret, gab aber immerhin zu, daß er mit
der Regelung auch nicht glücklich ist. Es gibt also wohl kaum noch einen
Verteidiger von "Don't ask, don't tell", und es ist zu erwarten,
daß die Regelung entweder ganz gekippt, oder zumindest grundlegend
überarbeitet wird.
Es gibt ja überall Eiferer, vor allem aus der christlich
religiösen Ecke, die gegen Homosexuelle polemisieren. In Deutschland
fallen mir spontan einige Beispiele ein, etwa die christliche Mitte, die Partei
bibeltreuer Christen oder Bischoff Dyba. In Amerika gibt es das auch. Aber in
den USA muss ja alles immer ein bisschen größer und extremer
sein. Der mit abstand bekannteste Schwulenhasser in den USA ist Fred
Phelps. Und was dieser Pfarrer sich immer wieder erlaubt, wäre hier
unvorstellbar. Da fährt Fred Phelps mit einigen Getreuen zu Beerdigungen
von Schwulen und demonstriert dann am Grab mit Schildern wie God hates Fags
oder Aids cures Fags. Während Familie, Freunde und Bekannte von dem
verstorbenen Abschied nehmen.
Phelps, Priester an der Westboro Baptist Church in Topeka, Kansas,
orientiert sich an den wenigen Stellen, an denen das alte Testament
über Homosexualität redet. Track 1. Hört sich nicht
gerade nach einem charismatischen, mitreisenden Redner an. Aber Phelps
ist erfüllt von seinem Sendungsbewusstsein und dem Glauben in
seine Sache. Track 2 . Die Texte kommen übrigens aus dem Trailer
zum Film "Fred - the movie". An den lästigen
Hintergrundgeräuschen sowie der billigen Hintergrundmusik sind
also nicht wir schuld. Genauso wenig wie an der schlechten
Tonqualität. Ich hoffe, ihr könnt es trotzdem verstehen.
Fred Phelps nutzt schon seit Jahrzehnten jede Gelegenheit, um gegen Schwule
zu wettern. Das ist natürlich sein Gutes recht, auch wenn seine Argumente
recht zweifelhaft sind. Selbst konservative Theologen die Bibel selten so
wörtlich auslegen wie Fred Phelps bei den Stellen über
Homosexualität. Regelmäßig übertritt er aber in seinem
Eifer die Grenzen des Guten Geschmacks, der Pietät und der
Selbstbestimmungsrechte seiner Mitmenschen. Ein Beispiel: Matthew Shepard. Der
Student wurde 1999 Opfer eines antischwulen Überfalls. Er wurde
verprügelt und an einen Zaun gebunden, wo er nach mehreren Stunden
starb. Der Fall sorgte für großes Aufsehen, selbst der amerikanische
Präsident Bill Clinton zeigte sich erschüttert über den
schwulenfeindlichen Hintergrund des Anschlags. Für Fred Phelps ein
gefundenes Fressen. Bei der Beerdigung Shepards stand auch er am Grab.
Während aber die anderen Trauergäste sich mehr oder weniger betroffen
zeigten, wedelten Fred Phelps und seine Freunde eifrig mit den
berüchtigten schwulenfeindlichen Plakaten. Man muss sich nur mal
vorstellen, wie der Mutter von Matthew zumute gewesen sein muss. Und auf seiner
Web-Seite, passenderweise übrigens unter www.godhatesfags.com, sieht man
auch gleich das Bild von Shepard im lodernden Höllenfeuer. Und
erfährt, warum und wie lange Shepard nun schon in der Hölle
schmort.
Es ist allerdings schon erstaunlich, daß sich Phelps Energie
so sehr auf Schwule konzentriert. Es muss ihm ein Gräuel sein,
daß Menschen heute selbstbewusst und selbstverständlich
schwul und lesbisch leben. So ganz ohne schlechtes Gewissen, Scham und
Angst vor den Nachbarn. Nochmals ein Ausschnitt Track 3 Bei dem
Dialekt und der Tonqualität versteht man dass erst nach einem
Dutzend mal anhören, daher eine freie Übersetzung: "Gay
Pride - Parade, Clinton hat letztes Jahr den Juni als Gay-Pride Monat
ausgerufen. Es ist die Zeit für Jeremia 6,15: Schämen
müssten sie sich, weil sie Gräuel verüben. Doch Sie
schämen sich nicht; Scham ist ihnen unbekannt. Deshalb
müssen Sie fallen, wenn die anderen fallen."
Fred Phelps hat sich dadurch und durch zahlreiche andere Aktionen zum
liebsten Feindbild der Schwulenbewegung gemacht. Das reicht von Polemik im
Internet und den Medien über Gegendemos bis hin zur Sabotage seiner
Homepage. Phelps stört die Aufregung offensichtlich nicht, er scheint sie
richtiggehend zu genießen. Und er sieht sich natürlich auf der Seite
Gottes, und damit der Gerechtigkeit. Die Medien sieht er sowieso als Handlanger
der Schwulen. Track Phelps4: Sozusagen eine Schwule Medien Mafia.
Das sogenannte Ex-Gay movement ist zwar nicht auf die USA beschränkt,
es würde mich aber nicht wundern, wenn dort der Ursprung liegen
würde. Exodus, wie die Gruppe offiziell heißt, gibt Infos zu den
üblichen Coming Out Fragen. Etwa Erfahrungsberichte, vor allem von Eltern
von Schwulen und Lesben. Wie geht man mit gleichgeschlechtlichen Neigungen um?
Wo findet man Rat und Hilfe? Dasselbe also wie auf Hunderten von Webseiten, bei
zahllosen Selbsthilfegruppen.
Nur, das Ziel ist ganz klar. Man soll eben nicht die Homosexualität
akzeptieren. Menschen, die offen schwul oder lesbisch werden, können nicht
glücklich werden. Und wenn man nur will, dann kann jeder ein normales
Heterosexuelles Leben führen. Das ist die Botschaft von Exodus. Die
Erfahrungsberichte handeln von Menschen, die nach einer schwulen oder
lesbischen Phase zu einer heterosexuellen Existenz gefunden haben. Oder von
Eltern, die für ihre Schwulen Söhne beten, auf daß diese aus ihrer
verderbten Lebensweise erlöst werden.
Jetzt darf ja jeder mit seiner Sexualität umgehen wie er
will. Wenn jemand so große Ängste vor seiner
Homosexualität hat, daß er glücklicher wird, wenn er
seine Homosexualität unterdrückt, dann soll mir das auch
recht sein. Trotzdem denke ich, daß Exodus problematisch
ist. Dafür gibt es drei einfach Gründe:
- Exodus betreibt aggressive Werbung um die Botschaft zu verbreiten, dass
jeder Homosexuelle ganz problemlos zu einem Heterosexuellen werden
kann, wenn er nur will. Außerdem ist Homosexualität für die Leute von
Exodus ganz klar widernatürlich und schlecht. Also ist es ganz ok,
Homosexuelle zu diskriminieren, schließlich machen sie ja freiwillig
was böses, für das man sie auch bestrafen kann und sollte.
- In den Erfahrungsberichten werden Psychotherapie, medikamentöse
Behandlung und ähnliches propagiert. Dabei haben die amerikanischen
Psychologenverbände bereits längst klargestellt, daß derartige
Therapiekonzepte nicht funktionieren. Und selbst China hat mittlerweile
anerkannt, das Homosexualität keine Krankheit ist. Folglich kann man
aus einem Homosexuellen auch nicht mit Medikamenten einen
Heterosexuellen zu machen.
- Die Erfahrungsberichte zeigen es bereits deutlich. Natürlich spricht
man auch die Schwulen und Lesben selbst an. Man scheint aber begriffen
zu haben, daß diese an ihrer Homosexualität meistens gar nichts ändern
wollen. Der hohe Anteil an Beiträgen von Eltern, und insbesondere von
Müttern, soll vermutlich auch gerade die Eltern und sonstigen
Familienangehörigen von Schwulen und Lesben ansprechen und da werden
sich schon welche finden, die mit den Argumenten von Exodus druck auf
die Schwulen und Lesben machen. Gerade bei Jugendlichen im Coming Out
kann das erheblichen Sozialen und Psychologischen Druck erzeugen.
Insgesamt sind die Aktionen von Exodus dazu geeignet, die Akzeptanz von
Homosexuellen in der Gesellschaft zu verringern. Es gibt sicher Homosexuelle,
Eltern oder Politiker, die sich von der Botschaft beeindrucken lassen,
daß Homosexualität eine freie Entscheidung sei und wer will
könne ganz einfach ein erfülltes und glückliches heterosexuelles
Leben führen. Es gibt sicher genug, du sich deswegen in psychiatrische
oder medikamentöse Behandlung geben und dadurch nur noch
unglücklicher werden, weil ihre Angst und Abneigung vor ihrer
gleichgeschlechtlichen Veranlagung dadurch nur noch geschürt wird, die
Therapien die Ursache, ihre Homosexualität, aber erwiesenermaßen
nicht ändern können.
Exodus existiert übrigens seit 1976 und hat über 100
Niederlassungen in den USA und Kanada. Weltweit sind es über 135 in 17
Ländern. Exodus will, nach eigenen Angaben, genauso gegen all die
Antreten, die der Homosexualität mit übergroßer Angst und
Ablehnung gegenübertreten wie auch gegen all die, die Homosexualität
als eine mögliche, normale Lebensweise betrachten. Als Lösung gebe es
für Homosexuelle nur die Liebe und Vergebung Jesu Christi.
Exodus hat übrigens vor einiger Zeit für einigen Rummel
gesorgt. Aber nicht so, wie sich Exodus das gewünscht hätte. Einer
der führenden Mitglieder von Exodus, ein angeblich geheilter
Homosexueller, wurde in einer Schwulenbar gesichtet. Die verzweifelten
Erklärungsversuche des ertappten Ex-ExGays sind fast schon erheiternd.
Für eine Organisation, die behauptet, man müsse nur wollen und mit
Gottes Hilfe werde man dann heterosexuell ist dieser Rückfall dann doch
recht peinlich.