Persönlichkeiten von schwulem Interesse
Walt Whitman
Helmut
Walt Whitman wurde am 31.5.1819 in der Nähe von Huntington im
US-Bundesstaat New York geboren und starb am 26.3.1892 in Camden im
benachbarten US-Bundesstaat New Jersey. Er wuchs in den damals noch schmucken,
ländlichen Vororten von New York auf, erst auf Long Island, ab 1825 dann
in Brooklyn. Seine Mutter begeisterte ihn früh für die Ziele und
Ideen der Quäker. Sein Vater war Zimmermann, im Hausbau tätig und zog
nach Brooklyn, in der Hoffnung auf einen Bauboom. Whitman erinnerte sich auch
noch, als Kind in Brooklyn vom Helden des Unabhängigkeitskampfes, Marquis
de Lafayette, umarmt worden zu sein. Sein Vater war ein Bekannter des
Mitunterzeichners der Verfassung, Thomas Paine.
1830 verließ Walt Whitman die Schule und begann als Bürogehilfe
für einen Anwalt, einen Arzt und später für die Zeitung
"Long Island Patriot" zu arbeiten. Seine Familie zog 1933 wieder nach
Long Island, während er selbst in New York blieb und weiter in der
Verlags- und Druckindustrie jobbte, bis zwei Brände 1935 das
Druckerviertel von New York auslöschten. Er kehrte zu seiner Familie
zurück und wechselte ins Lehrerfach, wobei er nebenher zwei politische
Wochenblätter ins Leben rief, den "Long Islander" und den
"Long Island Democrat". In seinen Publikationen setzte er sich
für die Verwirklichung konservativer und demokratischer Ideen ein.
Die nächsten vierzehn Jahre arbeitete er als Freelancer, mal als
Journalist, mal als Redaktor, Herausgeber, Lehrer, Zimmermann,
Buchhändler, Drucker - was gerade anlag und zum Broterwerb
taugte. Während viele Leute seiner Umgebung ihn der offenbar mangelhaften
Karriereplanung wegen schon als das schwarze Schaf der Familie betrachteten,
arbeitete er unentwegt hart daran, sich in Bibliotheken all die Bildung
anzueignen, die er - aufgrund seiner einfachen Herkunft - nicht auf dem ersten
Bildungsweg hatte erlangen können.
Im Jahre 1855 veröffentlichte er schließlich die erste Version
von "Leaves of Grass", auf deutsch "Grashalme". Erfolg gab
es zunächst keinen. Nur Ralph Walod Emerson, der Übervater der
zeitgenössischen amerikanischen Literatur, zeigte sich begeistert. In
einem Brief schrieb er "Ich grüsse Sie zu Beginn einer großen
Karriere!", ein Brief, den Whitman prompt zur Eigenwerbung
nutzte. Erschien die erste Ausgabe noch im Eigenverlag mit 95 Seiten, so baute
er dies zu seinem Hauptwerk auf, das in der 10. Auflage in seinem Todesjahr
bereits mehrere hundert Poeme.
Mehr als es vielen Recht ist, lässt sich Whitmans Liebe zu Männern
darin nicht nur zwischen den Zeilen lesen. Er spricht sein homosexuelles
Begieren unumwunden mit der ihm typischen Sprachgewalt aus. In seinen
Tagebüchern berichtet er weniger poetisch von seinen Vorlieben für
junge, kernige Kerle. Über sämtliche Affären und Begegnungen
führt er genau Buch. Beispielsweise in folgendem Eintrag: “George
Finch – Yankee Boy – Gutaussehender, großer, gelockter,
schwarzäugiger Bursche – Alter ca. 23 oder 34 – schlank - die
Hose in die Stiefel gesteckt – eine Kappe mit dem Schirm nach
hinten“ Diese Aufzeichnungen werden verschwiegen, nur widerwillig und
spät veröffentlicht. Nach seinem Tod werden die Buchausgaben immer
wieder um unangenehme Stellen bereinigt. Selbst die Biographie wird um eine
angebliche Geliebte erweitert, mit der er sogar Kinder gehabt haben soll.
Der Titel seines Hauptwerks - "Grashalme" - steht als Metapher:
Genauso wie sich die Schönheit einer Wiese aus der Masse der Grashalme
ergibt, ungeachtet ihrer kleinen Unterschiede, ergab sich für ihn die
Stärke und Schönheit Amerikas aus der Masse seiner Menschen. Sein
Patriotismus, der einem Leser von heute etwas aufstoßen könnte, hat dabei
nichts mit fähnchenschwingendem Hurra-Patriotismus zu tun. Die
Überlegenheit Amerikas kam für ihn daher, dass der Mensch in der
"Neuen Welt" eine neue Chance bekommen hatte, die natürliche
Form des Zusammenlebens, die Demokratie, zu verwirklichen. Whitman gilt als
jener Dichter, der wie kein anderer mit den amerikanischen Tugenden
identifiziert wird. Bodenständigkeit, Tapferkeit, Vaterlandstreue,
Ehrlichkeit – dafür steht Whitman und all dies ist Thema seiner
Gedichte. Homoerotik passt dazu wenig, eher schon zu seinem Traum einer
Gesellschaft, in der jedes Individuum das Recht zur eigenständigen
Gestaltung seines Lebens genießt, einer Gesellschaft, die auch frei von
sexualmoralischen Zwängen ist.
Der Bürgerkrieg von 1862-1865 bedeutete für Whitman genau wie
für die meisten seiner Landsleute eine heftige Zäsur. Sein Bruder
George hatte sich freiwillig zur Armee gemeldet und wurde bei Fredricksburg
verwundet. Sein Bruder Andrew starb an Tuberkulose, die durch Alkoholismus
verschlimmert worden war. Sein ältester Bruder Jesse kam in die
Psychiatrie. Whitman selbst arbeitete während des Krieges als
freischaffender Journalist und als Büroangestellter bei der Armee. Als er
seinen Bruder im Lazarett besuchte, war er derart beeindruckt, dass er
während des Krieges immer wieder zwischendurch als Pfleger in
Spitälern und Lazaretten aushalf.
Neben kurzen Abenteuern durchlebt Whitman drei große Lieben, mit denen
er jeweils mehrere Jahre verbringt. Zwar nagen an Whitman immer wieder
Selbstzweifel, sogar nach fünf Jahren Beziehung mit dem
Straßenbahnfahrer Peter Doyle stellt er die Richtigkeit dieser Liebe noch
in Frage und chiffriert dessen Namen im Tagebuch. Seine Verse in den
Grasshalmen werden aber immer homoerotischen. Immer wieder schildert er badende
Jünglinge, kraftstrotzende, muskulöse Handwerker, stramme
Soldaten.
Anfang 1865 arbeitete er als Angestellter im Büro für
Indianerfragen. Später wurde er entlassen wegen einiger zu freizügig
homophiler Passagen, die sein Chef zufällig zu lesen bekam, weil er eine
mit Bemerkungen versehene Ausgabe seines Werkes auf dem Arbeitstisch liegen
gelassen hatte, während er gerade einen seiner ausgedehnten
Spaziergänge unternahm. Die Grasshalme waren auch mehrmals von Verboten
aufgrund der homoerotischen Passagen bedroht. Er wechselte daraufhin ins
Büro des Generalstaatsanwalts und schrieb den Sommer über "When
Lilacs Last in the Dooryard Bloom'd" und "O Captain! My
Captain!". Im Oktober konnte er den Druck von "Drum-Taps" und
"Sequel" abschließen. Damit erreichte er schließlich seinen
Durchbruch.
In den folgenden Jahren wurde er mehr und mehr zum Gegenstand der
Literaturkritik. Sein Ansehen stieg und seine finanzielle Lage verbesserte sich
zusehends. Seine Gesundheit verschlechterte sich jedoch mit zunehmendem Alter,
1888 erlitt er einen kleinen Schlaganfall. 1890 ließ er sich für 4000
Dollar ein Grabmal bauen. Er starb mit 63 Jahren an einer
Lungenentzündung.