Buchbesprechungen
Die verlorene Sprache der Kräne von David Leavitt
Helmut
Ich möchte heute das Buch "Die verlorene Sprache der
Kräne" von David Leavitt vorstellen. Das Buch erzählt
ungefähr ein Jahr aus dem Leben von Philipp und seinen Eltern. Philipp ist
ein junger New Yorker. Er hat einen etwas langweiligen aber sicheren Job als
Lektor. Er wohnt in einer kleinen, gemütlichen Wohnung und besucht
regelmäßig seine Eltern, wo er dann bemuttert wird. Eine
unspektakuläre Idylle. Außerdem ist Philipp schwul und frisch
verliebt, in seine erste große Liebe. In dem Hochgefühl dieser
ersten großen Liebe outet er sich bei seinen Eltern. Es gibt die
üblichen Reaktionen: Tränen, Fragen, Verwirrung,
Sprachlosigkeit. Schnell wird jedoch klar, daß hier doch etwas anders
ist. Auch Philips Vater Owen ist homosexuell. Seit Jahren lebt er mehr oder
weniger neben seiner Frau Rose her. Gleichzeitig schleicht er sich
regelmäßig an den Wochenenden in schwule Pornokinos. Mehr
läßt jedoch sein schlechtes Gewissen nicht zu. Nach Philipps coming
out gerät Owen ins Grübeln. So wird aus einem Coming out
zwei. Philipp hat sein Schwulsein akzeptiert. Nun muß er noch seinen
Eltern helfen, sein Coming out zu verdauen. Und dann braucht er noch einen
neuen Freund. Denn seine erste große Liebe Elliott hat sich
natürlich bald wieder aus dem Staub gemacht.Owen hingegen muß erst
noch mit sich selbst und seiner Homosexualität ins Reine kommen. Also
gleich eine doppelte Coming out Geschichte? Irgendwie schon, aber das wäre
nur die halbe Wahrheit.
Denn im Grunde geht es um etwas anderes. David Leavitt erzählt
von der Unfähigkeit zu Veränderungen und der Unfähigkeit zur
Kommunikation. Die Geschichte beginnt bezeichnenderweise
damit, daß die Wohnung von Owen und Rose gekündigt wird. Die
beiden wohnen seit 35 Jahren dort. Nun soll sie in
Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Sie haben ein
Vorkaufsrecht und können sich die Wohnung vermutlich gerade so
leisten. Sie müssen sich entscheiden, können es aber nicht.
Diese mögliche Veränderung wird ignoriert, negiert,
totgeschwiegen. Es muß einfach so weitergehen wie bisher. Am
Ende des Buches ist hier noch immer nichts passiert. Auch
Owens Versteckspiel wird von der Angst vor Änderungen
beherrscht. Auch wenn die Situation für ihn immer
unerträglicher wird: er kann nicht vor und nicht zurück. Auch
Philipp sucht eigentlich das Bekannte: Den Mann fürs Leben und
damit eine Beziehung, wie er sie von seinen Eltern kennt. Das
ganze Buch ist von dieser Angststarre beherrscht. Noch ein
Beispiel: Eine Freundin von Elliott wechselt ständig das Thema
ihrer Dissertation. Nur um nie fertig zu werden und damit die
Uni nicht verlassen zu müssen. Eines dieser Themen waren
verlorene Sprachen, und daher kommt der Titel das Buchs. Ein
kleiner Junge wurde von den Eltern vernachlässigt, und alles
was er sah waren die Baukräne vor seinem Fenster. Also lernte
er nicht von seinen Eltern sprechen, sondern nahm die
Bewegungen der Kräne als Sprache auf. Ein Sprache, die nur er
allein sprach. Ein Inbegriff der Kommunikationsunfähigkeit.
Die Handlung gipfelt immer wieder in Gesprächen: Das Coming
Out von Philipp gegenüber seinen Eltern, das Coming Out von
Owen gegenüber seiner Frau Rose und das Coming Out von Owen
gegenüber Philipp. Die Personen leiden und schweigen.
Irgendwann reden sie dann darüber. Damit wird das Problem
nicht gelöst, aber es gibt immerhin Hoffnung. Philipp findet
zum Schluß jemanden, der vielleicht sein Mann werden könnte.
Owen findet auch jemand, der zumindest sein Schritt in die
Schwule Welt werden könnte. Und die Beziehung zwischen Owen
und Rose ist zerüttet, aber das war sie sowieso. Aber sie ist
nicht so kaputt, dass es nicht noch Hoffnung gäbe.
Ich habe am Anfang gesagt, daß ich das Buch vorstellen will.
Ich hoffe, das ist mir gelungen. Ob ich es empfehlen kann,
weiß ich nicht. Coming Out Geschichten gibt es bessere. Vor
allem, weil ich dabei ein Happy-End bevorzuge. Überhaupt
ist die ganze Geschichte sehr traurig und deprimierend. Es ist
also keine leichte, unterhaltsame Lektüre. Es ist aber
interessant erzählt. Das Coming Out und die Konflikte von Owen
geben der Geschichte einen ungewöhnlichen Aspekt. Und es geht
eben nicht wirklich um Schwule und Coming Out, sondern um
die Angst vor Änderungen. Ich auf jeden Fall habe das Buch
gerne gelesen, auch wenn ich damit nicht das bekommen habe,
was ich anhand des Klappentexts erwartet hätte.
Das Buch ist im Rowohlt Taschenbuchverlag erschienen, derzeit aber
anscheinend nicht lieferbar. Bei RoBIn
stehen aber gleich zwei Exemplare. Außerdem wurde die Geschichte in einem
Fernsehfilm verfilmt.