Buchbesprechungen
Rollenspiele von Hans Olsson
Holger
Heute möchte ich ein Jugendbuch vorstellen, das ich vor zwei
Jahren gelesen habe. Es handelt sich um den Roman
"Rollenspiele" von dem schwedischen Autor Hans Olsson. Das
Buch ist im Verlag Friedrich Oetinger erschienen und kostet
ca. 25DM.
Eigentlich ist es eine typische Coming-Out-Geschichte; Hauptperson des
Romans ist der Ich-Erzähler Johan Alexander Lindström, 15
Jahre alt und stattliche 1,78m groß. Bis vor kurzem hat er sich
eigentlich ganz wohl gefühlt in seiner Haut. Die Clique
funktionierte, seine Eltern sind in Ordnung, in der Schule und beim
Basketball gibt es keine Probleme. Nur die Bräute... Warum
müssen sie sich ausgerechnet in ihn verlieben. Er macht sich nun
mal nichts aus Mädchen.
Mit 11 Jahren aht Alexander seine komplette Comic-Sammlung in den
Müll gegeben und den hellenistischen Feldherren udn König
Alexander den Großen zu seinem Idol gemacht. Jetzt, mit 15,
muß er erkennen, daß sein verehrter Held und er
außer dem Abenteuerdrang noch etwas gemeinsam haben; sie haben
eine Schwäche für Männer. Alexanders Träume von
seinem Helden sind immer erotischer Natur; in ihnen vergißt
Alexander das Leben um sich herum.
Alexanders Clique besteht aus drei weiteren Jungs: Stisse, Mans und
Perra. Perra hat schon eine Freundin, nälich Karro. Auch die
beiden anderen würden gerne mit einem Mädchen gehen; von
dieser Seite kann Alexander keine Hilfe und kein Verständnis
erwarten. Seinen Eltern und seinem Bruder, Patrik, kann er sich noch
nciht anvertrauen. Alexander kämpft mit sich selbst. Hans Olsson
versucht, die einzelnen Stationen in Alexanders jungem Leben
einfühlsam, manchmal traurig, manchmal lustig, zu schildern. Oft
finden sich Rüchblenden, mit denen der Leser Einblick in
Alexanders verwirrende Gefühlswelt gewinnt. So erfahren wir,
daß Alexander mit einem Mädchen nur zusammen war, weil er
deren 15jährigen Bruder interessant fand.
Alexander spielt regelmäßig Basketball. Nach einem Training
sind nur noch Alexander und Thomas in der Sauna, und obwohl Thomas
eher auf Mädchen steht, holen sich die beiden gegenseitig einen
runter. Nach diesem einschneidenden Erlebnis ist Alexander
verwirrt. Thomas schleicht sich immer öfter in seine Träume
ein und läßt ihn unruhig schlafen. Er weiß nicht, ob
er sich in Thomas verliebt hat opder ob er nur die körperliche
Nähe des anderen so reizvoll findet. Alexander versucht das alles
zu vergessen. Er flüchtet sich in eine Beziehung mit einem
Mädchen.
Maria aus seiner Klasse hat schon lange ein Auge auf ihn geworfen. Sie
schlägt Alexander vor, Nachhilfeunterricht in Französisch zu
geben und schafft es mit der Zeit, ihn zu ihrem Freund zu
machen. Alexander ist in dierser Beziehung keine Sekunde
glücklich, denn er lügt sich selbst etwas vor. Wie sehr er
Maria eigentlich haßt, wird sehr amüsant geschildert:
"Maria rief nicht oft an. Maria rief dauernd an. Sie rief jeden
Tag an." Aus der Sicht Alexanders gibt es acht
Möglichkeiten, wie so ein Telephonat beginnt. Möglichkeit
Nr. 4 aus den "acht Variationen eines Themas" wäre:
"Ich gehe ans Telefon. "Wie geeht's die, mein
Johan?" Ich kotze diskret unter den Telefontisch und
antworte: "Danke, gut."" Zum Glück macht
Maria eines Tages schluß, als sie nicht das bekommt, was man von
einem Jungen erwarten könnte.
Alexander denkt an Selbstmord, er denkt daran, es seinem besten Freund
Stisse oder seinem Bruder zu sagen; Alexander wird krank und schreibt
einen Brief an Stisse, hat aber nicht den Mut, ihn abzuschicken. Er
ist verzweifelt. Er versucht, in der Bibliothek Antworten auf seine
Fragen zu bekommen. Als er dort einen Freund trifft, packt Alexander
wahllos einige Bücher auf die bereits ausgesuchte
einschlägige Literatur. Zu seiner Überraschung handelt es
sich dabei um das Buch "Die Sexualität der Frau" und -
wie treffend - um einen Band mit dem Titel "In der Erwartung des
Todes".
Alexanders Wunsch ist es, von einem Mann geliebt zu
werden. "Immer suchte ich nach dem Richtigen. Ich hatte
begriffen, daß dieser Jemand ein Junge sein
mußte." Auf einer Party lernt Alexander Anders
kennen. Anders macht nicht den Eindruck, als sei er schwul; ist Anders
anders? Genaugenommen ist er in Begleitung eines Mädchens, auf
das Mans ein Auge geworfen hat. Alexander versucht, Anders abzulenken
und verziert dessen Hemd mit einem leuchtend roten Tomatenfleck. Hier
ist ein Wendepunkt erreicht. Diese Begegnung ist der Beginn einer
Liebe, deren Alexander sich zuerst nicht bewußt ist und die sich
langsam entwickelt. Alexander kann jetzt mit seinem Saunagenossen
Thomas abschließen; er bringt es endlich über die Lippen,
einem Mädchen zu sagen, daß er schwul ist; er lernt einen
Jungen kennen, der geoutet ist. Alexander akzeptiert seine eigene
Sexualität. Doch bis zu seinem Coming-Out braucht es noch einen
gewaltigen Schritt.
Mir hat dieser Roman gut gefallen, weil es Hans Olsson versteht, sich
in die Hauptperson einzufühlen und dessen Wünsche,
Ängste und Sehnsüchte in einer klaren Sprache
auszudrüchen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Langeweile
kjommt an keiner Stelle auf; Hans Olsson schreibt sehr flott in der
Sprache eines Teenagers und hät gekonnt die Balance zwischen
Komik und ernsten Gefühlen wie Angst, Trauer und Verzweiflung,
mit denen sich der 15jährige Johan Alexander Lindström
auseinandersetzen muß
Ich denke, viele junge oder ältere Leser werden sich mit der
Hauptperson identifizieren können. Vielleicht hat mir der Roman
auch deshalb so gut gefallen, weil er mich an Situationen erinnert
hat, die ich selbst vor noch nicht allzu langer Zeit erlebt hzabe. Im
Grund ähnelt die Geschichte meines eigenen Coming-Outes sehr den
Erlebnissen Alexanders.
"Rollenspiele" ist zwar ein Jugendbuch, doch es wird auch
denen gefallen, deren Coming-Out schon länger
zurückliegt. Nicht zuletzt ist der Roman an die Eltern gerichtet,
die sich mit der Situation abfinden müssen, daß ihr Kind
aus der Rolle fällt. Hans Olsson meint selsbt zu seinem Roman:
"Wenn dieses Buch eine positive Rolel für homosexuelle
Jugendliche spielen kann, dann macht mich das froh. Und wenn ihre
Freunde, Eltern usw. das Buch lesen, um so besser. Jedes abgebaute
oder - realistischer ausgedrückt - abgemilderte Vorurteil
erleichtert uns Homosexuellen das Leben, aber den anderen
selbstverständlich auch."
Und nun viel Spaß beim Lesen!