Mittel- und Südamerika
Helmut
Die heutige Sendung steht unter dem Titel "Süd- und
Mittelamerika". Das ist ein enormes Gebiet. 33 L&quml;nder, das
kleinste Saint Kitts und Nevis mit nur 41000 Einwohnern, das größte
Brasilien mit über 160 Millionen Einwohnern. Darunter sind
selbständige Nationen und Kolonien. Es gibt Demokratien, Diktaturen,
Monarchien. In Bolivien und Peru leben überwiegend Indianer, in
Argentinien überwiegen Weisse. Mexiko steht an der Schwelle zur
Industrienation, Kolumbien vor dem Zerfall in ein von Drogenbaronen
beherrschtes Chaos. Kurz gesagt, es ist ein unglaublicher
Variantenreichtum. Bei allen Unterschieden, es gibt aber schon einen
Grund, warum man das ganze Gebiet häufig zusammen betrachtet. Ja,
warum es gar unter einem Namen, Lateinamerika oder auch Iberoamerika,
zusammengefasst wird. Der Grund ist die Geschichte, die nach der
Ankunft der europäischen Eroberer jahrundertelang im Süd- und
Mittelamerika Gleichschritt verlief, und auch heute noch haben die
Länder vielfach die gleichen Probleme als Erbe aus dieser Zeit.
In Süd- und Mittelamerika liegen mit den Inkas, Mayas und Azteken
einige der ältesten Hochkulturen der Menschheit. Diese Kulturen fanden
spätestens mit der Ankunft der europäischen Eroberer im
16. Jahrhundert ihr Ende. Die indianische Urbevölkerung wurde nach und
nach durch die europäischen Einwanderer und durch importierte
afrikanischen Sklaven verdrängt und durchmischt. Heute gibt es in den
meisten lateinamerikanischen Ländern einen großen Anteil an
Mischlingen. Der Grad der Vermischung der Rassen hängt auch von der
Attraktivität einer Region für die europäischen Eroberer
ab. Viele Europäer wanderten besonders im 19. Jahrhundert in die
klimatisch günstigen Gebiete Südbrasiliens, Argentiniens, Chiles und
Uruguays ein. Dort sind denn auch heute die stärksten eurasischen
Bevölkerungsgruppen. Brasilien ist vorwiegend, Argentinien und Uruguay
sind fast ausschließlich von Weißen besiedelt. In Zentralamerika
und Mexiko stellen fast überall die Mestizen die größte
Bevölkerungsgruppe.
Beim Stichwort Südamerika fallen mir Amazonas, Karneval in Rio,
argentinisches Rindfleisch und kolumbianiche Drogen ein. Tatsächlich
arbeitet rund die Hälfte der Bevölkerung in der Landwirtschaft. Das
reicht aber immer noch nicht, um die Versorgung mit Nahrungsmitteln sicher zu
stellen. Exportiert werden davon natürlich nicht nur Rindfleisch und
Drogen, sondern auch Weizen, Kaffee, Kakao, Zuckerrohr und mehr. Der
industrielle Sektor ist generell schwach ausgeprägt, hauptsächlich
handelt es sich um Nahrungsmittelindustrie und Textilerzeugung. Schwerindustrie
gibt es vor allem in Argentinien, Brasilien und Chile. Ein wichtiger Faktor ist
vor allem noch der Tourismus.
Das gilt auch für einige Länder Mittelamerikas. Ebenso wie die
groß:e Bedeutung der Landwirtschaft, hier allerdings etwas besser
diversifiziert, etwa zusätzlich mit Bananen, Ananas oder Baumwolle. In
einigen Ländern ist die Industrialisierung schon
verhältnismäßig weit fortgeschritten, so auf Puerto Rico, in
Costa Rica und auf Trinidad, Aruba und Curacao. Und vor allem in Mexiko, das
sich nicht zuletzt durch die Freihandelszone mit den USA und Kanada als
industrieller Vorhof Nordamerikas profiliert, mit allen zu erwartenden Vor- und
Nachteilen.
Von Mexiko bis nach Peru blühten vor Columbus die Hochkulturen der
Mayas, Azteken und Inkas. Mit der Ankunft der europäischen Eroberer
ereilte alle das gleiche Schicksal. Die existierenden Nationen wurden
unterworfen, die Kultur venichtet und die Länder kolonialisiert. 1510
besetzten die Spanier Panama, bis 1521 hatten sie die Azteken in Mexiko
geschlagen und 1533 folgte das Ende der Inkas in Peru. 1540 eroberten die
Spanier schließlich Chile. Wenn man sich das auf der Karte ansieht, so
haben die Spanier, ausgehend von Mittelamerika, die Teile Südamerikas, die
westlich der Anden liegen, innerhalb einer Generation erobert.
Die Portugiesen ließen auch nicht lange auf sich warten und eroberten
1540 das heutige Brasilien. Die restlichen europäischen
Kolonialmächte wie Frankreich, Großbritannien oder Holland kamen
erst im 17. Jahrhundert und verteilten die verbliebenen Krümel unter
sich. Lateinamerika wurde also von 1500 bis zur Unabhängigkeit Anfang des
19. Jahrhunderts von den iberischen Nationen Spanien und Portugal
geprägt. Von 1809 bis 1824 errangen die spanischen Kolonien bis auf Kuba
und Puerto Rico ihre Unabhängigkeit. Brasilien gelang die Errichtung
einer unabhängigen Monarchie durch den portugiesischen Kronprinzen
Pedro.
Die neuen Staaten zeichneten sich allesamt nicht gerade durch
Stabilität aus. Ausländische Kredite und Investitionen führten
zwar in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer einseitig auf
Rohstoffproduktion und -export basierenden wirtschaftlichen Blüte, doch
gleichzeitig zu hoher Verschuldung und zu politischer Abhängigkeit. Die
Politik des "Dollarimperialismus" verschaffte den USA um die
Jahrhundertwende die politische und wirtschaftliche Kontrolle über
Lateinamerika. In den späten 1970er und den 1980er Jahren kehrten
zahlreiche Staaten Lateinamerikas, darunter Argentinien und Brasilien, nach
langjähriger Militärherrschaft zur Demokratie zurück. Ein
Hauptproblem Lateinamerikas ist die zunehmende Auslandsverschuldung, die in
einigen Fällen zur Zahlungsunfähigkeit geführt hat. Aktuell ist
da ja das Beispiel Argentinien, aber viele lateinamerikanische Länder
standen in der näheren Vergangenheit entweder vor dem Staatsbankrott oder
mussten sich rigorosen Umschuldungen unter Aufsicht der Weltbank
unterziehen. So etwa Brasilien und Mexiko.
Noch eine andere Gemeinsamkeit gibt es: In Punkto Schwule, Lesben oder AIDS
gibt es fast nichts zu berichten. Vermutlich haben wir über jede andere
Weltregion in den Nachrichten hier bei Rosa Rauschen mehr berichtet als
über Mittel- und Südamerika. Und die Berichte, die es gab, haben eher
kuriositätswert. Wie etwa die mexikanische Stadt, die Ihre Fahne
änderte, weil es zufälligerweise der sechsfarbige Regenbogen war, den
auch die Schwulenbewegung verwendet. Sicher, es gab auch ernstere Meldungen
über Diskriminierung, Gewalt gegen Schwule und sogar Mord an
Schwulen. Aber insgesamt, der Job als Südamerika Reporter von Rosa
Rauschen wäre etws langweilig.
Nichts desto trotz, ich habe einige Themen über Südamerika
zusammengestellt und hoffen, daß es euch interessiert und Spaß
macht.
Ich habe ja schon gesagt, daß wir in Rosa Rauschen nur selten
über Lateinamerika berichten. Wenn, dann sind es aber meistens so richtig
negative Schlagzeilen über Diskriminierung und Gewalt. Als ich aber im
Internet die rechtliche Situation der Schwulen und Lesben in Lateinamerika
recherchiert habe, gab es für mich eine Überraschung. Sicher, es gibt
einige Länder, die steinzeitlich Anmutende Verbote der Homosexualität
in ihren Gesetzbüchern stehen haben. Meistens sind das irgendwelche
kleinen Karibikinseln. Ansonsten aber sind die Gesetze meist recht modern.
Homosexualität ist meist legal, es gibt sogar Anfänge von
Lebenspartnerschaftsgesetzen und Diskriminierungsverboten. Sind die schlechten
Nachrichten also vielleicht gar nicht wahr? Oder lassen wir die Guten Meldungen
unter den Tisch fallen? Nein, die Länder Lateinamerikas sind ein gutes
Beispiel dafür, daß Gesetze nicht alles sind. Die Einstellung der
Bevölkerung und die Verhaltensmuster müssen geändert werden,
sonst bleiben die Gesetze Makulatur.
Brasilien zeigt deutlich, wie groß der Unterschied zwischen Theorie
und Wirklichkeit sein kann. Dazu muss man nur mal durch die Schlagzeilen der
letzten Jahre blättern. Zum einen gibt es weitreichende Ansätze zur
rechtlichen Gleichstellung Homosexueller. Im Mai 2000 wurde beispielsweise in
Rio ein Gesetz verabschiedet, das die Diskriminierung von Schwulen und Lesben
unter Strafe stellt. Immerhin können Hotels, Restaurants und Bars demnach
mit einer Geldstrafe bis zu 7000 US-Dollar bestraft werden und bis zu einem
Monat geschlossen werden. Das ergänzt aber nur ein Bundesgesetz, nach dem
die Diskriminierung sowieso bereits verboten ist.
Seit Juni 2000 können schwule und lesbische Paare auch gemeinsamee
Sozialversicherung und Pensionsansprüche wahrnehmen. Damit setzte sich
Brasilien an die Spitze lateinamerikanischen Staaten in der Schwulenpolitik.
Allerdings war hier die Politik nicht unbedingt die treibende Kraft. So wurde
bereits 1995 ein Gesetz zu einer eingetragenen Partnerschaft für
gleichgeschlechtliche Partnerschaften in das Parlament eingebracht. Nur um
immer wieder vertagt, blockiert und aufgeschoben zu werden. Die Gerichte
hingegen haben immer mehr bahnbrechende Entscheidungen für Schwule und
Lesben getroffen. Etwa als das Oberste Gericht dem überlebenden Partner
eines an HIV gestorbenen Manns das Erbe zugesprochen hat. Oder auch die
Übertragung der Sozialversicherungs und Pensionsansprüche, die auch
auf ein Urteil des Obersten Gerichts zurückging. Dabei stützen sich
die Gerichte auf ein anscheinend recht weitgehendes Diskriminierungsverbot in
der Verfassung Brasiliens.
Da passt es perfekt in das Bild, daß Homosexualität in Brasilien
immerhin schon seit 1823 legal ist. Da braucht man sich nur mal zu
überlegen, seit wann Homosexualität in Deutschland legal ist, um zu
erkennen, daß dies äusserst fortschrittlich von Brasilien war.
Wenn wir das jetzt mal zusammenzählen, so kommt für Brasilien eine
beachtliche Liste an schwulenpolitischer Erfolge zusammen. Zum Beispiel das
Antidiskriminierungsgesetz. Oder die gemeinsamen Sozialversicherung und
Pensionansprüche. Die Arbeit an einem Lebenspartnerschaftsgesetz. Damit
nimmt Brasilien nicht nur eine Vorreiterrolle in Lateinamerika ein, sondern in
der ganzen Welt. Das hätte zumindest ich von Brasilien nicht erwartet.
Schließlich prägen Attribute wie konservativ, katholisch oder
Machismus das Bild von Brasilien nicht unerheblich.
Tatsächlich gibt es aber auch ein zweites, anderes Gesicht von
Brasilien. Im April 2000 schlug die Grupo Gay da Bahia, die größte
brasilianische Schwulen- und Lesbenorganisation Alarm. Brasilien sei für
Homosexuelle das gefährlichste Land der Welt. 1999 wurden in Brasilien 169
Homosexuelle ermordet. Das waren nicht nur 46% mehr als im Vorjahr. Das sind
auch mehr Morde, als in den deutlich größeren USA in 2 Jahren
zusammen geschahen.
169 Morde, das sind alle drei Tage ein Mord. Und davon werden nur 5%
aufgeklärt. Es gibt Morddrohungen gegen Schwule Gruppen. Bei den
Morddrohungen bleibt es dabei nicht immer. Hin und wieder findet sich auch mal
eine Briefbombe im Briefkasten. 1999 sorgte die Gruppe "Acorda
Coracao" für Aufsehen. Mehrere Morde an Schwulen gingen vermutlich
auf das Konto dieser Gruppe. Die Täter suchten ihre Oper im Stadtteil Nova
Iguaco in Rio de Janeiro. Mit dem Spruch "Du bist dran, mein Lieber"
sollen sie ihre Opfer erschossen haben. Schwulenorganisationen haben damals
geraten, nachts nur noch in größeren Gruppen ab 3 Personen
auszugehen. Und die Polizei verstärkte extra deswegen ihr Streifen.
Hin und wieder vergreift sich auch die politische Elite und die Polizei im
Ton beim Umgang mit Schwulen und Lesben. So etwa im Mai 1999 während des
Besuchs des dänischen Königspaars in Salvador da Bahia. Angeblich um
der Königin den Anblick zu ersparen wurden 19 Transvestiten aus dem
Stadzentrum entfernt und 3 Tage lang ins Gefängnis gesperrt. Wohlgemerkt
ohne gesetzliche Grundlage, wie auch der Polizeikommissar zugab. Da
Dänemark als weltweit erstes Land die Homo-Ehe einführte, verwundert
es schon, daß ausgerechnet das dänische Königshaus vom Anblick
einiger Transsexueller schockiert sein sollte.
Und wenn man nur ein paar Jahre in die Vergangenheit geht, dann trifft man
auf eine ganze Serie von Übergriffen. 1998 wurden zwei Transvestiten von
Polizisten verprügelt und schließlich ins Meer geworfen, wobei eine
der beiden ertrank. Und 1994 wurde Claudio Orlando dos Santos verhaftet, als er
Kondome der lokalen Gesundheitsbehörde an Transvestiten verteilte. Die
Polizisten beleidigten und schlugen ihn so stark, so daß er
schließlich im Krankenhaus an seinen Verletzungen starb. Oder 1995, als
eine Aktivistin nach der 8. brasilianischen Nationalkonferenz von Schwulen und
Lesben von einem Polizeioffizier erschossen wurde.
Nur ein paar wenige Einzelfälle und Statistiken, die aber doch zeigen,
dass die gesellschaftliche Akzeptanz von Schwulen und Lesben in Brasilien noch
einiges zu Wünschen übrig lässt. Trotz exterm weitgehender
rechtlicher Gleichstellung und sogar rechtlichen Schutzes.
In Brasilien ist also die Situation von Schwulen und Lesben
zweispältig. Auch wenn die gesellschaftliche Realität in Brasilien
noch einiges Verbesserungspotential besitzen, so ist doch zumindest die
rechtliche Situation vorbildhaft und der Staat tut auch einiges, um seine
Schwulen und Lesben zu schützen. Damit will ich nicht von den immer
wiederkehrenden Drohungen und Briefbomben ablenken. Genauso wie man auch sehen
muss, dass Brasilien immer noch eine äusserst hohe Zahl an homophob
motivierten Verbrechen, gar Morden hat. Aber immerhin werden Schwule und Lesben
von dem Gesetz nicht kriminalisiert, diskriminiert oder benachteiligt.
Und eben das ist nicht in allen Staaten Lateinamerikas so. Der World-Survey
der International Gay and Lesbian Association listet da bemerkenswertes auf.
Oder vielleicht eher erschreckendes.
In Trinidad und Tobago dürfen Schwule gar nicht erst einreisen. Und
Analverkehr mit einem Minderjährigen kann mit lebenslanger Haft bestraft
werden. Da ist die Strafe für Analverkehr mit einem Erwachsenen schon fast
wieder gering. 10 Jahre sind aber doch ein recht teurer Preis für ein
bißchen Sex. Und dann gibt es noch ein Gesetz, daß unzüchtige
Handlungen zwischen Männern und zwischen Frauen mit einer Strafe von bis
zu 20 Jahren belegt.
In Nicaragua werden homosexuelle Aktivitäten mit immerhin 4 Jahren
Gefängnis bestraft. Die Begründung des Obersten Gerichts ist fast
schon klassisch: "Das Ausüben von Sodomie zu erlauben wäre
ein Angriff auf das Wachstum der nicaraguanischen Bevölkerung, ein
Rückschritt für das politische, wirtschaftliche und soziale
Weiterkommen auf Grund des Fehlens von Männern und Frauen, die Nicaraguas
Vortschritt vorantreiben können".
Schwuler Sex wird auch in Jamaica bestraft, und zwar mit bis zu 10 Jahren.
Ebenso in Guyana, wo allein der Versuch des Analverkehrs mit 10 Jahren
bestraft werden kann, und der vollzogene Analverkehr mit lebenslanger Haft.
Homosexualität ist ebenfalls illegal in Saint Lucia und in Grenada.
In Kuba ist immerhin nur öffentlich zur Schau getragene
Homosexualität verboten. "Öffentlich zur Schau getragen", das kann
natürlich alles oder nichts bedeuten. Händchenhalten, Zusammenziehen,
tuckiges Verhalten. Die Entscheidung bleibt wohl der Willkür der
Polizisten und des Richters überlassen. In Kuba soll es auch keine
öffentliche Schwulenszene geben. Dafür aber eine florierende
Untergrundszene. Komplett mit Frühwarnsystemen, um den angeblich recht
häufigen Polizeirazzien zu entgehen.
Die Situation ist auch in Süd- und Mittelamerika in ständiger
Bewegung. So wurde auf den Bermudas Homosexualität 1999 legalisiert. Und
in den britischen Territorien Cayman Islands, Virgin Islands, Turks and Caicos
Island wurden die Schwulenparagraphen ebenfalls aus dem Gesetzbuch
gestrichen. Allerdings nicht gerade freiwillig und zur Begeisterung der
Inselbewohner. Vielmehr wurden die Gesetze nur auf massiven Druck der Londoner
Regierung geändert. Im Dezember 2000 hat die britische Regierung ein
Dekret erlassen, das Homosexualität in den Karibikinseln Anguilla, British
Virgin Islands, Cayman Islands, Montserrat sowie die Turks und Caicos Inseln
entkriminalisiert. Dieser Entscheidung ging ein mehr als zwei Jahre anhaltender
Streit zwischen den Regierungen der Territorien und der britischen Regierung
voraus. Die konservativen Machthaber auf den Tropeninseln haben sich
geschlossen mit der Kirche lange gegen die Streichung der Homosexualität
aus dem Strafgesetzbuch gewehrt. Zeitweise hatten die Inselverwaltungen gar
damit gedroht, sich lieber für unabhängig zu erklären. Beispiele
dafür, daß hinter den Gesetzen auch eine gelebte Homophobie steht
gibt es reichlich. So verweigerten die Behörden der Cayman Inseln 1998
einem Kreuzfahrtschiff mit ausschließlich schwulen Touristen an Bord die
Ankergenehmigung. Der Regierungschef von Anguilla damals: "Wir sind
eine einfache christliche Gesellschaft. Das sind die Grundfesten unserer
Gesellschaft. Die Menschen sagen, Homosexualität ist Sünde. Wir
hoffen, daß Großbritannien versteht, dass, auch wenn wir von
britischer Hilfe abhängig sind, wir auf keine Fall unsere christlichen
Grundsätze verraten werden" Der Regierungschef von
Montserrat sah sogar gesellschaftliche Unruhen voraus.
Daß es derart vehementen Widerstand gegen die Aufhebung bestehender
Homosexuellenparagraphen gibt, ist meiner Meinung nach schlimm genug. Noch
unglabulicher ist, daß auch heute noch derartige mittelalterliche Gesetze
neu verabschiedet werden. Das Verbot von Homosexualität in Nicaragua
datiert von 1992, ist also noch ganz neu.
Die Organsiation Human right watch findet harsche Worte zu El Salvador.
Schwule, Lesben und Transidentische seien in El Salvador demnach einer
Kampagne aus Terror, Gewalt und Mord ausgesetzt. Und das schon seit Jahren.
Und die Regierung zeigt sich demgegenüber nicht nur gleichgültig,
Staatsdiener seien sogar aktiv in den Ausschreitungen beteiligt. So wurde
eine Transidentische von einem Mitglied der Präsidentengarde bedroht. Und
dem Vorsitzenden der Schwulenorganisation "Entre Amigos" wurde der
Polizeischutz verweigert, obwohl auch die Polizei zugibt, daß er
Polizeischutz erhalten müsste.
In Venezuela scheint man eher Probleme mit Transvestiten und
Transidentischen zu haben. So wurden in Valencia zwei Transidentische von der
Polizei gezwungen, sich mitten auf der Strasse nackt auszuziehen. Danach wurden
sie auf der Strasse von den Polizisten verprügelt und über mehrere
Tage ohne rechtliche Grundlage eingesperrt. Illegale Freiheitsberaubung durch
die Polizei scheint dort sowieso an der Tagesordnung für Transidentische
zu sein, die Human right watch listet gleiche eine Reihe von Verhaftungen ohne
Rechtsgrundlage auf.
Brasilien hat über eine halbe Million HIV-Infizierte. Das ist viel
weniger als in manchen afrikanischen Ländern, aber immer noch eine ganze
Menge. Prozentual an der Bevölkerung sind das knapp über fünf
Promille. Das ist relativ hoch. Argentinien hat zwar eine nur geringfügig
geringere Infektionsrate, Chile, Ecuador, Paraguay liegen aber eher bei 1 bis 3
Promille. In Deutschland ist es übrigens 1 Promille. AIDS fordert auch von
Brasilien seinen Tribut, aber Brasilien kämpft gegen AIDS, und das
erfolgreich. Nicht nur gelingt es der Präventionspolitik Brasiliens, ein
weiteres Steigen der Infektionsrate zu verhindern. Dazu gehören auch 8
Millionen Kondome, die während des diesjährigen Karnevals gratis
verteilt werden. Ungewöhnlich ist aber vor allem, daß Brasilien es
schafft, für die HIV-Infizierten die nötigen Medikamente für
eine, wenn vielleicht nicht optimale, dann doch immerhin gute Behandlung zur
Verfügung zu stellen.
Das Erfolgsrezept ist recht einfach: der Patentschutz für die
Medikamente wird ignoriert. Na, nicht ganz ignoriert. Gemäß
brasilianischem Gesetz kann die Regierung eine Lizenz zur Herstellung eines
patentierten Medikaments vergeben, falls das Medikament innerhalb von drei
Jahren nach der Patentierung nicht in Brasilien produziert wird. Das ist ein
besonders hartes Kriterium, da im Zeitalter der Globalisierung viele
Unternehmen ihre Medikamente lieber aus dem Ausland nach Brasilien importieren
wollen. Damit stellt das Gesetz nahezu einen Blankoscheck zur Produktion von
Generika dar.
Gegen dieses Gesetz haben die USA eine Beschwerde bei der WTO eingelegt. Die
Beschwerde wurde aber mitlerweile zurückgezogen. Für Brasilien
bedeutet die damals erreichte Einigung vor allem, daß der Patentinhaber
mit einer Frist von 10 Tagen vor der Lizenzvergabe gewarnt werden
muß. Das zeigt sich letztlich sogar als Vorteil, weil in vielen
Fällen die Pharmaunternehmen erstaunliche Preisnachlässe für
Ihre Medikamente anbieten konnten, nachdem Brasilien die Vergabe einer Lizenz
zur Produktion von Generika ankündigte.
Ein Beispiel wie das funktioniert vom August letzten Jahres. Am 23. August
kündigte der brasilianische Gesundheitsminister an, daß er einen
Lizenzantrag zur Produktion von Viracept durch eine brasilianische Firma
bearbeiten würde. Zuvor seien Gespräche mit der Herstellerfirma Roche
über ein verbilligtes Angebot zusammengebrochen.
Paul Teixeira, der Direktor des brasilianischen AIDS-Programms,
erklärte: "Wenn wir Nelvinavir hier in Brasilien produzieren,
so können wir den Preis um 40% reduzieren. Als muss Roche zumindest das
gleiche anbieten." Den Bruch der Patentrechte rechtfertigte er
so: "Dies ist eine Frage des äussersten Notstands. Brasilien
ist nicht gegen Patente, aber wenn die Preisgestaltung misbräuchlich ist,
so fehlen die Mittel in anderen wichtigen Bereichen wie Malaria, Tuberkolose
und Lepra". Einen Tag später bot Roche plötzlich an,
den Preis sofort um 35% und im nächsten Jahr noch weiter zu senken. Und im
September wurde dann tatsächlich eine Einigung zu den von Brasilien
gewünschten Konditionen erreicht.
Das letzte Jahr gab es einen aufsehenerregenden Prozess in Südafrika,
wo die Regierung die teueren HIV-Medikamente durch billigere Generika ersetzen
wollte. Die Pharmaindustrie hat damals gegen die südafrikanische Regierung
geklagt, weil dadurch die in internationalen Verträge garantierten
Patentrechte verletzt würden. Tatsächlich schien die Pharmaindustrie
juristisch auf der Siegesstrecke. Für die PR war der Prozess aber
katastrophal. Schlagzeilen von den gierigen und menschenverachtenden
Pharmamultis beherrschten die Medien. Schließlich gab die Pharmaindustrie
nach und bot die Medikamente in Südafrika billiger an. Zwar immer noch
teuerer als Generika, aber nur noch zu einem Bruchteil des ursprünglichen
Preis.
In Berichten, die etwas mehr Zeit hatten, wurde damals bereits hin und
wieder von zwei Beispielen geredet, wie man das auch anders regeln kann. Zum
einen Indien, daß den Patentschutz schlichtweg ignoriert und im
großen Maßstab Generika produziert und verwendet. Und eben
Brasilien.
Letztlich hat Brasilien das selbe erreicht wie Südafrika, aber deutlich
effizienter und unspektakulärer. Wenn man bedenkt, daß der Streit in
Südafrika fast ein Jahr dauerte und so lange kein gesicherter Zugang zu
den Medikamenten bestand, ist klar, daß das auch die bessere, weil
schnellere, Lösung für die HIV-Infizierten selbst ist.
Ein bißchen dürfte auch die Größe des Brasilianischen
Marktes eine Rolle gespielt haben. Brasilien ist der zweit größte
Pharmamarkt in Südamerika und war noch vor wenigen Jahren unter den 12
größten Pharmamärkten weltweit.
Das brasilianische Gesundheitsprogramm bietet für 90.000 HIV-positive
freien Zugang zu 12 HIV-Medikamenten. Im July 2001 warem davon 7 Medikamente
Generika, die von brasilianischen Produzenten kopiert wurden, während die
restlichen 5 mit Rabatten von bis zur Hälfte des normalen Weltmarktpreises
verkauft werden. Trotzdem kostet die Versorgung der 90.000 HIV-positiven immer
noch 300 Millionen US Dollar jährlich.
Brasilien ist ein sehr beliebtes Urlaubsziel. Das Amazonasgebiet,
die Wasserfälle von Iguasu und vor allem Rio de Janeiro mit der
Copacobana, dem Zuckerhut und dem Carneval von Rio sind touristische
Top-Ziele. Rio ist die zweitgrößte Stadt Brasiliens, und
bietet, wie es sich für eine Großstadt gehört, ein
ansehliches Angebot für Schwule. Auch wenn ich selbst leider noch
nicht dort war, so habe ich mich doch informiert, was es dort so alles
gibt. Ausserhalb von Rio gibt es einen klassischen schwulen Strand mit
FKK und Sex in den Büschen. Aber auch am Strand von Ipanema gibt
es einen schwulen Bereich, wenn es da auch etwas gesitteter
zugeht. Der schwule Strandabschnitt liegt am Ende der Rua Farme de
Amoedo. Auf der Copacabana gibt es auch noch einen kleineren schwulen
Strandabschnitt.
Bars, Restaurants, Cafes, Discos und so weiter konzentrieren sich im Bereich
um die benachbarten Stadtteile Ipanema, Copacabana und Botafago. Schwule Discos
gibt es nicht all zu viele. Die größte ist LeBoy in CopaCobana, die
wohl recht gut sein soll. Der Spartacus listet nur noch 6 weitere Discotheken
auf, also wirklich nicht viel. Zumindest während des Carnevals gibt es
genug andere Möglichkeiten, die Nacht zum Tag zu machen. Das Nachtleben
ist dabei nicht strikt nach Homo und Hetero getrennt. Sicher, es gibt Bars mit
überwiegend schwulen oder lesbischen Publikum, aber Heten werden auch dort
nicht vor die Tür gewiesen. Eine Ausnahme sind natürlich die schwulen
Saunen. Von denen gibt es sogar mehr als Diskos. Und vermutlich ist die beste
Art des Zeitvertreibs in Rio eh ein Tag am Strand.
Die beste Jahreszeit für Rio ist natürlich der Carneval. Karneval
in Rio ist zur selben Zeit wie bei uns, direkt vor Aschermittwoch. Es ist also
etwas zu spät, um noch in diesem Jahr zum Karneval nach Rio zu fahren. Der
Carneval ist auch die teuerste Zeit, um nach Rio zu reisen. Zu dieser Zeit
fallen riesige Menschenmassen in Rio ein. Im Fernsehen sieht man dabei immer
die berühmten Samba Tanzschulen mit zahlreichen Frauen in ausgefallenen
und trotzdem fast nichts verdeckenden Kostümen. Klar, man bietet damit
etwas für die nicht ganz uninteressante Zielgruppe der Heterosexuellen
Männer. Davon darafu zu schließen, daß der Karneval in Rio
nichts für Schwule bieten würde, ist aber falsch. Von überall in
Brasilien, und von der ganzen Welt, kommen tausende von Schwulen und Lesben
nach Rio. Mann trifft sich in Ipanema. Und genießt den Tag im süssen
Rhythmus von Strand, Essen und Party. Na ja, und ein bischen Sex darf auch
noch sein.
Karneval in Rio besteht natürlich aus den weltbekannten Samba
Parade. Dann gibt es nocht Strassenumzüge. Der farbenfrohe Banda de
Ipanema mit einem hohen Drag Queen Anteil findet bereits zwei Wochen vor dem
offiziellen Carneval statt. Der Karneval in Rio ist also auch etwas, daß
länger als nur ein, zwei Tage lang stattfindet. Schließlich gibt es
auch noch Balls, große Faschingspartys. Dabei gibt es auch einige schwule
Balls.
Ein anderes beliebtes Reiseziel in Lateinamerika ist Mexiko. Nicht
zuletzt wegen der Ruinen der Azteken. Schließlich war Mexiko
City ja auch die Hauptstadt der Azteken, Tenochtitlan. Und dann gibt
es noch die Ruinen von Teotihuacan. Allerdings ist Mexiko City selbst
nicht der Tourismusmagnet. Mexiko City gilt als dreckige,
gefährliche und hässliche Stadt. Ein Freund von mir hat vor
einigen Jahren einen etwas anderen, aber nicht unbedingt positiveren
Eindruck aus Mexiko City mitgebracht. Störend war nicht die, gar
nicht so schlimme, Luftverschmutzung. Schwer zu ertragen ist einfach
die schiere Größe der Stadt verbunden mit dem
Verkehrschaos, daß dort herrscht. Die Stadt ist so groß,
daß man ohne Auto kaum die Entfernungen bewältigen
kann. Gleichzeitig ist der Verkehr so stark und der Respekt vor den
Verkehrsregeln so gering, daß eine Fahrt über zwei Blocks
zu einem zeitaufwendigen und nervenraubenden Abenteuer werden kann.
Trotzdem, die Stadt lohnt einen Besuch. Mitlerweile erwacht auch die schwule
Szene. Die Schwulen Mexiko Citys waren schon immer die Avantgarde der
mexikanischen Schwulenbewegung. In den letzten Jahren wurden Schwule und, in
geringerem Maß, auch Lesben in der Gesellschaft Mexiko Citys stärker
sichtbar. Es gibt schwule Theaterstücke, schwule Magazine und Schwule Bars
etc. werden in den Veranstaltungskalendern der Zeitungen erwähnt. Es gibt
auch in den meisten anderen größeren Städten Mexikos
mitlerweile Schwule Gruppen, eine schwule Szene und was sonst noch so dazu
gehört. Es ist aber nicht viel mehr als ein Anfang. Das soll jetzt nicht
heissen, daß es in Mexiko keine schwulenfreundlichen Ziele gebe. Acapulco
soll sehr schwulenfreundlich sein, genauso wie Puorta Vallarta.
Was man als Reiseziel vielleicht vermeiden sollte, sind Länder wie die
Cayman Islands, die ganz offiziell keine Schwule in ihren Landesgrenzen
haben wollen, oder Homosexualität oder schwulen Sex mit Strafen belegen.
Aber darüber habe ich ja schon geredet.