Buchbesprechungen
Jim im Spiegel von Inger Edelfeldt
Holger
Heute möchte ich ein Buch vorstellen, das ich - wenn ich mich recht
erinnere - mit 17 Jahren gelesen habe.
Hauptperson des Romans ist der 14jährige Jim Lundgren aus
Schweden, der auf dem Land aufgewachsen ist und mit 9 Jahren nach
Stockholm ziehen muß, weil sein Vater dort eine neue Arbeit
antritt. Jims Familie ist keine Bilderbuchfamilie; sein Vater
interessiert sich nru für seine Karriere, trinkt oft und hat auch
gegen einen Seitensprung nichts einzuwenden; Jims Mutter leidet
darunter und bemerkt schon, daß mit ihrem einzigen Sohn etwas
nicht stimmt, verschließt aber die Augen davor. Sie führt
ein Tagebuch, aus dem einzelne Auszüge jedem Kapitel des Buches
vorangestellt sind. In ihnen überdenkt sie ihre eigene Situation
und versucht herauszufinden, was Jim bedrückt.
"Er war ein sehr braves Kind, sonst unterschied ihn nichts von
den anderen Kindern; ich meine, was man hätte bemerken
können. Ich glaube, an und für sich hatte er eine
glückliche Kindheit. Er wuchs ja auf dem Land auf. Ja, damals
wohnten wir noch auf dem Land, Harald - das ist mein Mann -, Jim und
ich." Mit diesen Worten werden wir kurz der Familie Lundgren
vorgestellt.
Durch den Umzug nac hStockholm muß sich Jim inu seiner neuen
Schule erst eingewöhnen. Er gilt in seiner Klasse als Streber und
hat bis zur 7. Klasse keien Freunde. Nur Anders, ein Schulkamerad,
scheint sich für Jim näher zu interessieren. DOch die
Gespreäche mit Anders drehen sich nur um Mädchen,
Brüste, f... und ähnliche Dinge. Jim kann damit nichts
anfangen. Eigentlich sollte er sich auch für Mädchen
interessieren, doch immer wieder findet er Jungs viel aufregender. Jim
überlegt sich, ob er sich nicht doch für das andere
Geschlecht begeistern kann.
"Und ich saß da und versuchte, Yvonne sexy und aufreizend
zu finden. Ich schaute verstohlen ihre Brüste an, aber das
einzige, was mir dabei einfiel, war das Euter einer Kuh. Wirklich eine
typische Provinzlerassoziation! Ich errötete fast in meiner
Ecke. Wenn die anderen gewußt hätten, worüber ich mir
den Kopf zerbrach, hätten sie sich halb kaputt gelacht. Jetzt
müßte ich doch lüsterne Gefühle bekommen, dachte
ich - immerhin bin ich ein Mann."
Jim kann seine aufkommenden Gefühle für Männer noch
nicht in Worte fassen. Er möchte auch nicht darüber
nachdenken und schließt sich erst einmal in sein Zimmer ein, wo
er wochenlang bleibt. Seinen Eltern wird geraten, ihren Sohn zur
Psychatrischen Kinder- und Jugendberatung zu schicken. Eine
Horrorvorstellung für Jim. Sein Vater ist mit den Problemen
seines Sohnes, den er eh nicht versteht, überfordert. Er sieht
Jims Schwierigkeiten in der Schule und meint, Jim müßte
sich gegen seine Schulkameraden durchsetzen und hart werden. Seine
Mutter schreibt in ihrem Tagebuch: "Er wurde nur immer
kühler und reservierter, es schmerzte geradezu, ihn so zu
sehen. Harald, ja, Harald bekam von all dem nicht soviel mit, für
ihn war die Hauptsache, daß der Junge gut in der Schule war. Von
Depressionen und schlechten Nerven und ähnlichen Dingen wollte er
nichts hören; so etwas hatte man gefälligst selbst zu
überwinden."
Jim möchte den Wunsch seines Vaters erfüllen: "Aber
inzwischen stand mein Entschluß fest - um jeden Preis würde
ich es schaffen, ich würde kein Schwächling sein, ich
würde es ertragen. Wenn nötig, würde ich hart wie Stein
werden."
Dies ist der erste Schritt Jims, seine Homosexualität zu
verleugnen. Er möchte keine "Schwuchtel" sein;
übrigens ein Lieblingswort von Anders. Er hat Angst vor der
Turnstunde, weil man doch von "denen" erwartet, daß
sie sich typisch "schwul" verhalten. "Das schlimmste
waren die Turnstunden, oder vielmehr der Aufenthalt im Umkleideraum
vor und nach dem Turnunterricht. Nicht daß ich beim Anblick
meiner halbnackten Mitschüler keuchend in der Ecke gestanden oder
sie unter der Dusche lüstern angestarrt hätte, aber ich
hatte das Gefühl, daß Einer Wie Ich sich so benehmen
müßte. Es wurde fast zu einer Zwangsvorstellung - solltest
du sie nicht doch ein wenig anstarren? Außerdem hatte ich
irgendwo gehört, daß man vor lauter Angst, eine Erektion zu
bekommen, eine Erektion bekommen konnte, und je mehr ich daran dachte,
desto größer wurde meine Angst davor."
So will Jim nicht werden. Diese Selbstverleugnung haben wir wohl alle
irgendwie durchgemacht. Doch auch mit der Akzeptanz der eigenen
Sexualität ist nur ein erster Schritt getan. Am letzten Montag
kam das Gespräch in der Coming-Out-Gruppe auf dieses Thema. Wenn
man erst einmal aussprechen kann, daß man Männer liebt,
bedarf es noch den zweiten Schritt, nämlich beispielsweise nicht
unangenehm berührt zu sein, wenn man sich zwei Männer
küssen oder Arm in Arm auf der Straße sieht. Ich denke,
dieser zweite Schritt braucht genau so viel Zeit wie der erste. Erst
im Laufe der Zeit sieht man diese Dinge als selbstverständlich
an. Das muß auch Jim lernen.
Der Roman "Jim im Spiegel" ist eine typische
Coming-Out-Geschichte. Doch hier werden nicht nur die Erlebnisse Jims
erzählt, sondern auch die Gefühle seiner Mutter
beschrieben. In Jims Elternhaus herrscht nicht immer eitler
Sonnenschein; sogar die Scheidung der Eltern droht. Jim versucht
jemanden zu finden, der ihn beeindruckt und als Vorbild dient. Im
letzten Schuljahr wird das sein Klassenkamerad Ulf. Doch in dessen
Gegenwart zwingt sich JJim, wieder nach Mädchen Ausschau zu
halten. nach seinem ersten Kuß mit einem Mädchen ist es Jim
eigentlich egal, ob er nun geküßt oder nicht
geküßt wurde. Es ist nicht das, was Jim wirklich will. Jims
Suche endet erst, als er auf seiner Abiturfeier Mats kennenlernt und
endlich er selsbt sein kann. Er sieht, daß Liebe nie
lächerlich ist und man um eine Liebe kämpfen muß. Ich
denke, manchmal erkennen wir zu spät, daß man um eine Liebe
hätte kämpfen müssen.
Wer jetzt noch wissen will, warum die Familien-Weihnachtsfeier in
diesem Jahr nicht unbedingt so verläuft, wie sich das Tante Sara
und Tante Cecilia vorstellen und wie sich das Verhältnis zwischen
Jim und seinem Vater entwickelt, dem empfehle ich, das Buch zu
lesen.
"Jim im Spiegel" ist das erste Buch der schwedischen
Nachwuchsautorin Inger Edelfeldt, die mit ihrem Buch "Briefe an
die Königin der Nacht" den Deutschen Jugendliteraturpreis
erhielt. "Jim im Spiegel" ist im Ravensburger Verlag
erschienen und kostet ca. 11 DM.